Zöliakie Ernährungsberatung und -therapie
Bei Zöliakie handelt es sich um eine häufig auftretende, lebenslange und autoimmunologische Erkrankung des Darmsystems. Bei Zöliakie reagiert die Dünndarmschleimhaut überempfindlich gegen das Klebereiweiß Gluten. Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Hafer und Gerste enthalten in ihrer Klebeeiweißschicht Gluten. In Folge der Erkrankung kann es zu einem Schwund (Atrophie) der Darmzotten kommen.
Ursachen der Zöliakie
Früher waren sich Wissenschaftler darüber nicht einig. Einige behaupteten, die Störung sei auf einen Enzymmangel in der Dünndarmschleimhaut zurückzuführen. Denn die kranke Darmschleimhaut kann die Fette (Lipide) aus glutenhaltiger Nahrung nicht aufnehmen. Doch die Systemerkrankung des Darms ist auf drei gestörte Immunreaktionen zurückzuführen, die ineinandergreifen. Zum Verständnis ist der Aufbau der Dünndarmschleimhaut (Mukosa) sehr hilfreich. Diese besteht in Richtung des Lumens aus einem einschichtigen hochprismatischen Epithel (Lamina epithelialis mucosae), einer lockeren Bindegewebsschicht (Lamina propria mucosae) und einer feinen, dünnen Schicht aus glatter Muskulatur (Lamina muscularis mucosae).
Zerstörung der Filamentstrukturen des Darmepithels
Gluten besteht aus Glutenin und Gliadin. Nur das Gliadin kann das Darmepithel passieren und gelangt in die Lamina propria mucosae. Dort bindet es an das köpereigene Enzym Gewebstransglutaminase, worauf Amid-Stickstoff unter der Aufnahme von Wasser abgespalten wird. Antigenpräsentierende Zellen stufen das deamidierte Protein als fremd ein und phagozytieren es.
Auf ihrer Zelloberfläche haben diese Freßzellen spezielle Glykoproteine, worauf sie das als Antigen erkannte deamidierte Gliadin nun präsentieren. Dies lockt glutenspezifische T-Zellen (T-Lymphozyten) an, die mit ihren Rezeptoren das Antigen erkennen und daran binden. Die T-Lymphozyten sind nun aktiviert und entwickeln sich zu T-Helferzellen (TH1-Zellen), welche Cytokine freisetzen.
In der Lamina propria mucosae befinden sich ortsständige, spezialisierte Bindegewebszellen (Fibroblasten), die mit den Zytokinen interagieren und gewebsdestruktive Enzyme (Matrix-Metallo-Proteinasen) abgeben. Diese greifen das Zytoskelett des Darmepithels an und zerstören die Oberflächen- und Haltestrukturen der Zotten. Es kommt zur Zottenatrophie mit Bürstensaumverlust sowie zu tiefen Einsenkungen in der Mukosa (Kryptenhyperplasie).
Infiltration des Darmepithels
Zytotoxische CD 8+ -T-Lymphozyten dringen zwischen die Darmepithelzellen und lösen deren Zelltod (Apoptose) aus.
Produktion von Antikörpern gegen Gewebstransglutaminase, Gliadin und das Endomysium
CD4+ – T- Lymphozyten präsentieren deamidiertes Gliadin Protein auf ihrer Zelloberfläche. Daraufhin binden Plasmazellen über das Antigen an die T-Zellen. Es kommt zur Freisetzung von Antikörpern durch die Plasmazellen (B-Zellen). Die Antikörper wirken zielgerichtet gegen Gewebstransglutaminase (tTG) und Gliadin. Außerdem wirken Immunglobuline der Gruppe IgA gegen das Endomysium in der Lamina muscularis mucosae.
Symptome einer Zöliakie
- Allgemeine mögliche Symptome sind Antriebs- und Appetitlosigkeit sowie Müdigkeit.
- Symptome des Darmtraktes: In Folge einer gestörten Fettresorption treten nach dem Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel breiige und voluminöse Durchfälle auf. Charakteristisch sind eine glänzende, grauweiße Farbe des Stuhls und ein sehr unangenehmer Geruch. Viele Vitamine sind fettlöslich. Wegen der gestörten Resorption der Nahrungsfette werden auch die darin gelösten Vitamine A, D, E und K nicht aufgenommen.
- Manifestiert sich der Vitaminmangel, treten typische Vitaminmangelerscheinungen bis hin zu vermehrter Blutungsneigung und Blutarmut (Anämie) auf. Auch der Mangel an nicht fettlöslichen Vitaminen (Vitamin B12, Vitamin D) sowie Spurenelementen wie Eisen und Calcium ist zu beobachten. Ein weiteres Anzeichen sind Ödeme, die in Folge eines Eiweißmangels entstehen. Dieser kann zu allgemeiner Schwäche und Gewichtsverlust führen.
- Zu den psychiatrischen Symptomen gehören Störungen der Konzentration, Charakteränderungen und psychische Krisen. Neurologische Symptome zeigen sich in einer gestörten Bewegungskoordination (Ataxie) und in Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Neuropathien).
Mögliche Komplikationen und langfristige Beschwerden
- Zöliakiekrise: Andauernde wässrige Durchfälle können zu einer Störung des Wasser- und Elektrolythaushaltes führen. Im schlimmsten Fall trocknet Organismus aus (Exsikkose).
- Ulzerationen: Geschwürbildungen im Magen-Darm-Trakt mit vorausgehenden chronischen Entzündungen des Dünndarms sind komplizierte Verlaufsformen der Zöliakie.
- Das Einhalten einer strikten glutenfreien Diät bringt möglicherweise nicht den gewünschten Erfolg und die intestinalen sowie extraintestinalen Symptome bleiben mehr als zwölf Monate bestehen.
- Ernsthafte Vitaminmangelzustände
Diagnose
Die Krankheit fällt durch das Auftreten von Fettstühlen (Steatorrhoe) und Zeichen der Malabsorption auf. Eine Untersuchung des Dünndarms mit Gewebsentnahme (Biopsie) macht die Atrophie der Zotten ersichtlich und dient als Nachweis der Erkrankung. Hierbei führt der Arzt ein Endoskop über die Speiseröhre in den Magen und den Zwölffingerdarm (Duodenum) ein.
Diese Methode findet meist Anwendung, wenn zuvor das Blut positiv auf Transglutaminase-Antikörper (tTG-AK) getestet wurde. Ein Test auf Endomysium-Antikörper (EmA-AK) ist als gleichwertig anzusehen. Weiter geht es mit der Bestimmung des Gesamt-IgA-Status. Sofern sich ein Mangel an Immunglobulinen der Klasse A (IgA) ergibt, wird das Blut auf die Gamma-Immunglobuline (IgG) gegen Transglutaminase oder gegen deamidiertes Gliadin untersucht.
Ernährungstherapie bei Zöliakie
Die einzige Therapie ist das Einhalten einer strengen glutenfreien Kost seitens des Patienten. Dies bedeutet den Verzicht auf Getreideprodukte. Doch wie kann die professionelle Ernährungstherapie im allgemeinen aussehen?
Auch die Ernährungstherapie beinhaltet eine Anamnese. Sie ist sehr gewissenhaft und genau von einer Diätfachkraft durchzuführen. Dabei stützt sich die Befunderhebung auf die medizinische Diagnose der Arztes. Ohne die enge Kooperation der Professionen ist eine erfolgreiche Behandlung nicht möglich. Für eine zielführende Beratung gilt es, einen übersichtlichen und ausführlichen Anamnesebogen zu verwenden. Folgende Informationen sollten mit Hilfe von Fragestellungen mindestens erhoben werden, wobei die folgende Liste keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit hat:
- Anthropometrische Daten wie Altersgruppe, Körpergewicht, Geschlecht und Körpergröße
- Demographische Angaben (Namen, Geburtsort, Anschrift und Informationen zur Kontaktaufnahme)
- Welche Symptome treten auf?
- Wie lautet die seitens des Arztes gestellte Diagnose? Liegen weitere Befunde und ärztliche Verordnungen (Rezepte) vor?
- Welche Vorerkrankungen (Stoffwechselstörungen, Autoimmunerkrankungen) bestehen?
- Frage nach Essgewohnheiten und bisherigen Ernährungsempfehlungen sowie Ernährungsprotokollen
- Wurde bereits auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Intoleranzen) oder gar Nahrungsmittelallergien getestet?
Nach der Anamnese sind die Schwerpunkte in der Beratung festzulegen. In Abhängigkeit vom Informationsbedarf bei Zöliakie können sich folgende Themen ergeben:
- Ernährungsumstellung bei Zöliakie und assoziierten Erkrankungen: Weizen, Dinkel, Gerste, Roggen, Grünkern, Einkorn, Emmer und Kamut müssen vermieden werden. Auch in Zusatzstoffen von Lebensmitteln und in Medikamenten kann Gluten enthalten sein.
- Präventive Maßnahmen bei Lebensmittelallergien (Allergie gegen Gluten) und Kreuzallergien: Glutenhaltige Lebensmittel dürfen nicht zusammen mit glutenfreien aufbewahrt werden.
- Über- oder Untergewicht durch Störungen der Verdauung und des Fettstoffwechsels
- Vegetarische und vegane Ernährung mit Hafer, Hirse, Sojabohnen, Buchweizen, Kartoffeln, Mais, Reis Amaranth, Quinoa und Maniok
- Nährstoffe für Kinder, Säuglinge, Schwangere und Stillende
Im Erstgespräch wird eine Anamnese durchgeführt und gemeinsam das Ziel formuliert. Als Grundlage für die Folgetermine dient ein Ernährungsprotokoll. Im ersten Beratungstermin muss erklärt werden, wie dieses zu führen ist. Bei den Folgeterminen liegt der Fokus auf der Besprechung des Ernährungsprotokolls und der Krankheitszeichen (Symptomatik).
Die Dauer der Ernährungstherapie bei Zöliakie ist vom Einzelfall, den diagnostizierten Krankheiten und der Ausprägung der Symptomatik abhängig. Eine Rolle spielen auch die individuellen Fähigkeiten der Betroffenen und das soziale Umfeld.
Wichtige Eigenschaften für eine erfolgreiche Therapie sind Termintreue, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und das Bestreben, sich selbst Wissen über das Krankheitsbild anzueignen. Die Zottenveränderungen der Dünndarmschleimhaut bilden sich nur langsam über mehrere Monate zurück. Wegen der Schädigung des Darmepithels wird nur unzureichend Laktase gebildet. Daher muss in den ersten Monaten nach Beginn der Therapie ebenso auf Milchprodukte verzichtet werden. Auch dieser Verzicht bedarf einer Berücksichtigung in der Gestaltung eines bedarfsgerechten Diätplans.
In Folge der Resorptionsstörungen im Duodenum müssen die fettlöslichen Vitamine unter Umgehung des Verdauungstraktes zugeführt werden. Häufig ist eine langfristige Begleitung der Betroffenen notwendig. Die Erkrankung dauert ein Leben lang an.
5 Gründe für eine professionelle Ernährungsberatung bei Zöliakie
- Nach der Diagnose entstehen viele Fragen. Betroffene sind zu diesem Zeitpunkt ohne eine fachliche Begleitung überfordert. Besonders bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft gilt es, den Herausforderungen souverän zu begegnen.
- Betroffene erhalten durch einen fachkundigen, festen Ansprechpartner Hilfestellung, den Alltag mit ihrer schwerwiegenden Erkrankung zu meistern.
- Ernährungsumstellung: Das strikte Vermeiden von Gluten macht eine dauerhafte Umstellung des Speiseplans erforderlich. Diätfehler werden nicht verziehen. Sie erhöhen das Risiko für Spätfolgen wie Krebs (Malignom) und Osteoporose.
- Familien mit Kindern brauchen besonders Unterstützung, da alle nahstehenden Verwandten geschult werden müssen. Ferner spielen der Eintritt in den Kindergarten und in die Schule eine wichtige Rolle.
- Sollten im Rahmen der jährlichen Kontrolle Antikörpertests positiv ausfallen, ist das Ernährungsprotokoll (Ernährungstagebuch) professionell zu prüfen.
Häufige Fragen zu Zöliakie und der Beratung
Unterschied Zöliakie und Glutenunverträglichkeit
Unter Wissenschaftlern und Medizinern bestehen unterschiedliche Zuordnungen des Begriffs der Glutenunverträglichkeit. Einerseits wird die Glutenunverträglichkeit als Oberbegriff gesehen, die sich zu einer Glutensensitivität oder einer Zöliakie ausprägen kann. Einer der wesentlichen Unterschiede liegt im Auftreten von intestinalen und extraintestinalen Beschwerden nach der Nahrungsaufnahme.
Bei der Glutensensitivität kommt es bereits wenige Stunden bis Tage danach zu den Symptomen. In der Therapie kann die glutenfreie Ernährung auf einen Zeitraum von zwei Jahren beschränkt und die Zufuhr von Gluten anschließend an den Einzelfall angepasst und werden.
Bis die Symptomatik hingegen bei Zöliakie auftritt, vergehen mehrere Wochen bis Jahre und es bedarf einer lebenslangen, glutenfreien Ernährung. Andererseits wird der Begriff ‘Glutensensitivität‘ auch gleichbedeutend mit ‘Glutenunverträglichkeit‘ gebraucht, was aber nicht korrekt ist.
Warum darf man vor der Diagnose nicht glutenfrei essen?
Bei glutenfreier Kost bildet der an Zöliakie Erkrankte keine Antikörper. Diese fungieren jedoch als Marker bei der Blutuntersuchung.
Kann bei glutenfreier Ernährung ein Nährstoffmangel auftreten?
Die glutenhaltigen Lebensmittel müssen durch glutenfreie ersetzt werden. Sofern diese Substitution nicht ausreichend und ausgleichend geschieht, kann ein Nährstoffmangel auftreten. Nicht alle Vitalstoffe sind mit ersatzweiser Nahrung zuzuführen. Fettlösliche Vitamine benötigen den parenteralen Weg.
Wird eine Ernährungsberatung bei Zöliakie von der Krankenkasse übernommen?
Zur Übernahme der Kosten verlangen Krankenkassen eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung. Grundsätzlich ist zu beachten, sich vor Inanspruchnahme von Beratungsleistungen nach den Voraussetzungen für eine Kostenübernahme zu erkundigen. § 43 des Sozialgesetzbuchs (SGB) V hat die Grundlage dafür geschaffen, dass Krankenkassen eine medizinisch angezeigte Ernährungstherapie, wie es bei Zöliakie der Fall ist, bis zu einer Höchstgrenze übernehmen.